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Entrevista en alemán

Vicente Munoz Álvarez |  Frühjahr 2003

DAS DEFORMIERTE IST REALITÄT

Von deinen vier veröffentlichten Büchern, Norberto, enthalten drei Kurzgeschichten, eine hier zu Lande stark unterschätzte Gattung. Worauf führst du diese Ablehnung zurück?

Zum einen fehlt es dieser Gattung an Tradition und zum anderen wird sie von einigen überheblichen Kritikern und Literaten unverschämterweise als mindere Gattung abgetan oder man kategorisiert sie als bloße Vorstufe des Romans, dem alleine man den Status einer wichtigen literarischen Gattung zuerkennt. Was den Trugschluss zuließe, dass Borges und all die anderen, die in ihrem Leben keinen Roman geschrieben haben, Schriftsteller minderen Ranges sind. In Spanien sortiert man nur zu gerne in Schubladen ein, versieht diese mit Etiketten und äußert Ungeheuerlichkeiten solchen Kalibers im Namen einer fragwürdigen Sprachtradition und glorreichen Historie.

Was ist deiner Meinung nach schwieriger zu schreiben, ein Roman oder ein Band mit Erzählungen? Warum, glaubst du, wird Ersteres als höherwertig angesehen?

Die eine Gattung ist so schwierig wie die andere. Ich plädiere für ein Sowohl-als-auch der Gattungen. Oder, anders gesagt, sollte es der Schriftsteller sein, der frei darüber bestimmen darf, welche Form seinem Ausdruckswillen entspricht, nicht aber die Verlage und der Markt. Die Probleme, die eine Gattung mit sich bringt, haben nichts mit der Anzahl der Seitenzahlen eines Buches, viel aber mit der Intensität des Erzählens und der Wahrhaftigkeit des Autors zu tun.

Dein erstes Buch Transgresiones (Überschreitungen) (I Premio Noega) wurde 1983 veröffentlicht. Was geschah in den zehn Jahren bis zu der Veröffentlichung von Cancion de cuna para una mosca domestica (Wiegenlied für eine Stubenfliege) (Premio Tiflos de cuento)?

In diesen Jahren habe ich viel Zeit und Geld vergeudet, um mit meinen Erzählungen bei den Verlagen Klinken putzen zu gehen. Die Antworten fielen immer gleich aus: Man fand lobende Worte, sagte aber, ich solle doch lieber einen Roman schicken. Nur die kleinen Verlage interessierten sich für mein Werk, die allerdings hatten kein Geld. Zeitgleich veröffentlichte ich Erzählungen in literarischen Zeitschriften in den USA und Kanada. Die Auswahlkriterien in diesen Ländern sind andere: Hier zählt allein die Qualität.

Deine Erzählungen handeln häufig von körperlichen Missbildungen, moralischer Erniedrigung und den Schrecken der Genmanipulation. Wie erklärt sich dein Interesse für das Deformierte als literarisches Mittel?

Ich halte es für kein literarisches Mittel. Es ist die Realität, wie ich sie wahrnehme und die ich mit sprachlichen Techniken erst nachträglich in ein Mittel umforme. Die romantische Abendstimmung, – ich bevorzuge den Terminus der Vigil – , interessiert mich nicht. Ihr fehlen jene Halbschatten, die es mir erlauben, einen bloßen Naturalismus ins Phantastische zu steigern, was eine andere Art des Hyperrealismus ist.

Dein drittes Buch El momento del unicornio (Der Moment des Einhorns) enthält meiner Meinung nach einige der schönsten Erzählungen, die in der letzten Zeit in diesem Land geschrieben worden sind, so großartige Erzählungen wie Francotiradores (Freischärler), Ritual de los espias (Ritual der Spione), Diario del taxidermista (Tagebuch des Präparators) oder La captura (Die Gefangennahme), die den Leser in die dämonischen Ecken der Seele entführen. Was für Reaktionen willst du mit diesen Geschichten provozieren?

Es war nie meine Absicht, etwas oder jemanden zu provozieren. Wenigstens war das bis zu Signos de Descomposición (Zeichen der Zersetzung) der Fall. Ich schreibe immer so, wie ich es selber gerne lesen würde. Anders in Signos: Während des Schreibens mutierte ich zu einem Sadisten, der eine Mechanerie planvoll in Gang setzte, um Leiden, Klaustrophobie und Ohnmacht hervorzurufen. Es hat mir viel Spaß gemacht, diesen Roman zu schreiben. Im Grunde genommen war es ein persönlicher Rachefeldzug gegen all diejenigen, die mich um einen Roman gebeten hatten. Das hatten sie nun davon! Von mir aus kann der nächste Roman schonungsvoller und viel kommerzieller ausfallen. Wir sind ja jetzt quitt! Leid tut mir nur, dass die zwei sympathischen Verrückten von Valdemar, die als Einzige verlegerischen Wagemut bewiesen haben, da mit hineingezogen werden mussten.

Was symbolisieren für dich die dunklen Schätze der Erzählung Joyas (Juwelen), eine der beunruhigendsten, die dieses Buch enthält?

Ein Autor ist sich nicht immer bewusst, was er in seinem Werk symbolisiert, im Allgemeinen kümmern sich die Kritiker darum, die versunkene Symbolik wieder zu bergen. Dass es um eine Perversion der Werte geht, ist allerdings nicht zu übersehen: Der Augenschein ist bedeutungslos, dafür lassen sich in der Scheiße Juwelen von unermesslichem Wert entdecken.

Von welcher Literatur und von welchen Autoren bist du in deiner Entwicklung und deinem Schreiben am meisten beeinßusst worden?

An so etwas wie Einflüsse glaube ich nicht so recht. Aber zugegebenermaßen hat Borges mir die himmlischen Gefilde der Prosa eröffnet und Cortazar verdanke ich die Erkenntnis, dass es keines transzendentalen Themas bedarf, um ein transzendentales Werk zu schaffen, sondern einzig auf die sprachkünstlerische Technik ankommt. Allenfalls radebrecht man so lange mit geliehenen Worten, bis man seine eigene Sprache gefunden hat, die eine Summe des Persönlichen und Übernommenen darstellt. Klingt sehr nach Borges, nicht wahr?

Welche Stellung nimmt für dich Signos de descomposicion ein? Welcher Art von Roman oder welcher Gattung würdest du ihn zuordnen?

Für mich ist er zunächst nur ein mit Freude und Erfolg erreichtes Ziel! Ob er näher bei Genet, bei Roland Topor und bei den Bekenntnissen des Augustinus anzusiedeln ist, kümmert mich wenig.

Wie zahlreiche deiner Erzählungen spielt dieser Roman in geschlossenen und klaustrophobisch beklemmenden Räumen. Warum versetzt du deine Personen so häufig in solche Umstände?

Literarische Umstände sind bei mir immer innere Umstände. Dies könnte jeder Psychologe wahrscheinlich besser erklären. Ich vielleicht auch, sehe darin aber nicht meine Aufgabe.

Was verstehst du unter Ethik und Ästhetik der Eschatologie, ein Begriff, den du einmal verwendet hast?

Zunächst einmal ist in unserer Kultur die Eschatologie eng an die Moral gebunden und bringt je nachdem, wie man mit ihr umgeht, ihre eigene Ethik hervor; und in dem Maße, in dem sie als ein weiteres Werkzeug und Bestandteil dieser Werte betrachtet und nicht zum Selbstzweck umfunktioniert wird, bildet sie ihre eigene Ästhetik heraus. Die Art des Umgangs mit den „letzten Dingen” variierte im Laufe der Geschichte je nach kulturellen Parametern und gültigen Moralauffassungen. Die Commedia dell’arte hat die Eschatologie als Werkzeug des Humors zurückgefordert, heute wenden wir uns von ihr ab und besetzen sie negativ, obwohl sie das im eigentlichen Sinne überhaupt nicht ist. Als Reaktion auf eine gewisse allgemeine Ernüchterung am Ende des Jahrhunderts und des Jahrtausends lässt sich ein Wiederaufleben dieser Fragen feststellen, ohne dass die Grenzen der Provokation dabei überschritten werden.

Teilst du Wildes Auffassung, dass der Künstler das Recht hat, alles zu ergründen?

Er hat nicht nur das Recht, wie jeder, vielmehr treibt ihn eine innere Notwendigkeit dazu oder auch nicht. Ich unternehme Streifzüge in meine eigenen Abgründe und da ich schon immer ein Insektenforscher sein wollte, lege ich die Anderen unters Mikroskop und interpretiere die Ergebnisse.

Was hülst du von der jungen spanischen Erzählkunst? Und von den alternativen Literaturzeitschriften? Glaubst du, dass von ihnen entscheidende Impulse an den künstlerischen Nachwuchs ausgehen?

Ich fordere mit Nachdruck, dass man die Etikettenbildung meiden möge. Sie sind und bleiben eine Erfindung der Verlage! Die Erzählkunst – wie auch die Poesie – ist keine Frage des chronologischen, sondern des mentalen Alters und ich unterteile sie nicht in ,jung” und „alt”, sondern in „gut” und „schlecht”. Es existiert nebenbei bemerkt eine Art allgemeiner Gerontophobie, die uns in Rohstoff für Soylent Green verwandelt. Truman Capote schrieb seinen ersten Roman mit einundzwanzig Jahren, ich glaube Carson McCullers mit zweiundzwanzig … Dieses ganze Gerede über die jungen Erzähler, die Kannibalen, die Urbanen, die Generation X etc. finde ich, ehrlich gesagt, langweilig und ermüdend. Entweder man ist ein Schriftsteller oder man ist ein Hobbykünstler!

Ist es hier zu Lande einfach, etwas zu veröffentlichen?

Es ist schwierig, aber nicht unmöglich. Meine Erfahrung, meine Verwünschung als Erzähler, war ein Leidensweg, bis ich zu Nobel und Valdemar kam. Aber diese Herren sind seltene Vögel im Zoo der Verlage, der von gefräßigen Raubkatzen bevölkert ist.

Wie denkst du über das Sektierertum, die literarischen Gruppen, die verlegerische Mafia, die literarischen Agenten, die Mäzene, die Wettbewerbe, die Günstlinge und über all die Skandälchen unseres heimischen Literaturbetriebs?

Dass so etwas in Ländern wie den USA nicht existiert, oder wenigstens nicht so offenkundig und grausam ist. Die Vetternwirtschaft – milder und gerechter als die Mafia – gehört nun einmal zum Wesen der Latinos.

Interessiert dich die Poesie?

Ich lese gerne Lyrik, bin selber aber nicht fähig, auch nur einen Vers zu schreiben, ohne schamrot zu werden. Ich käme mir dabei vor wie einer, der in fremden Gewässern fischt!

Welche Projekte hast du zur Zeit in Arbeit?

Ich könnte dir antworten, dass ich niemals Projekte habe, da sie sich sofort in Werke verwandeln: zwei Romane und einige Erzählungen. Da ich mich, um weiterbestehen zu können, dem Wettbewerb unterwerfen muss, bin ich bedauerlicherweise nicht in der Lage, etwas zu Ende zu schreiben. Als ob die Literatur ein Langstreckenlauf wäre, bei dem der Stärkste siegt! Aber auf dieses Spiel des Wettbewerbs muss ich mich ja wohl oder übel einlassen. Nach welchen Parametern sollte man den kreativen Geist und seine intimsten Ausdünstungen bewerten? Eher wohlwollend oder gemäß der eigenen Dummheit und dem eigenen Gutdünken?

Übersetzung a. d. Span.: Gabriele Eschweiler.